Dienstag, 8. Februar 2011

Margots Reportagen: Das Geheimnis des 22 CV

Bild: Salleck Publications

Stellen Sie sich vor, Sie würden ein Auto finden, von dem keiner so recht weiß, ob auch nur ein Exemplar von jenen überlebt hat, von denen man annimmt, dass es sie mit Sicherheit gegeben haben könnte. Sie kommen nicht mehr mit? Macht nix, dagegen hilft was: einfach mal einen richtig guten Comic lesen!

Bilder: Emilio van der Zuiden
Ja, gerade Bildergeschichten sind nicht selten Automobil-Geschichten. Doch dieser buntige Aspekt der Massenmotorisierung ging irgendwie immer an uns vorbei. „Kinderkram!“, hüsteln heute noch die meisten Leser, wenn es um Bildergeschichten geht, und rümpfen abschätzig die Nase. In Belgien und Frankreich aber sind Comics eine literarische Selbstverständlichkeit, und so haben auch gezeichnete Autos eine lange Tradition. Dank eines kleinen Pfälzer Verlags schwappt regelmäßig ein wenig gallische Comic-Kultur zu uns, nunmehr sogar in Form eines Automobil-Krimis: "Das Geheimnis des 22CV" (im Original "Le Mystère de La Traction 22", erschienen bei Éditions Paquet), ausgedacht und gezeichnet von Olivier Marin und Emilio van der Zuiden. Verleger Eckart Schott von Salleck Publications hat ihn übersetzt und publiziert – und dabei ein glückliches Händchen bewiesen. Nicht nur Citroen-Fans tun gut daran, das Album zu kaufen, bevor es so sehr zum Mythos wird wie das Auto auf dem Cover!

Bild: www.citroenet.org.uk
Und damit sind wir auch schon mitten in der Geschichte – zunächst mal in der historischen. Bei bloßer Erwähnung der Typenbezeichnung "22 CV" klingeln Citroenisten bereits die Ohren, denn hinter ihr verbirgt sich die mondänste Ausbaustufe, die die "Traction" jemals erleben durfte: Mythos, Phantom und Star in einem. Eine verchromte 8 im Kühlergrill und stromlinienförmig verkleidete und mit modischem Augenaufschlag verzierte Frontscheinwerfer zeugten von dem gewissen Extra, das den Wagen von seinen herkömmlichen Brüdern (bzw. Schwestern, französische Autos sind per Artikel stets weiblich!) abhob: ein V8 aus eigener Herstellung! André Citroen hatte im Mai 1934 mit Blick auf die neuen Ford-V8 darauf bestanden. Ein Problem zog das andere nach sich. Beginnend mit der  recht kurz bauenden Karosserieform der Traction – am Baukastensystem mit Frontantrieb war schließlich nicht zu rütteln. Der mit einem Zylinderwinkel von 90° versehene V8 war schwerer als die kompakten Vierzylinder, länger auch, und durch den verlagerten Schwerpunkt blieben umfangreiche Anpassungsarbeiten unvermeidlich. Von Fahrwerk, Bremsen und sämtlicher Peripherie ganz zu schweigen. 

Bild: www.citroenet.org.uk
Kurz: Was da im Oktober 1934 auf dem Pariser Salon stand, war alles, nur nicht ausgereift. Citroen kratzte das wenig, es ging schließlich um's Prestige, und so stellte man kurzerhand gleich mehrere Karosserievarianten aus. Den Besuchern stockte der Atem, manch einer hätte am liebsten gleich ein Exemplar vom Stand weg gekauft. Doch noch im Juni 1935 stellten Versuchsfahrer fest: "Da der Motor ohne Wasser gut funktioniert, aber schlecht läuft, sobald man Wasser einfüllt, scheint Wasser in die Zylinder einzudringen". Auch berichteten sie von  verformten Bremstrommeln, einer undichten Karosserie und schwer zu schaltenden Gängen. Noch bevor diese und zahlreiche andere Mängel behoben werden konnten, stoppte der neue Hausherr bei Citroen, Michelin, das Projekt und gab dem klassischen Sechszylinder wieder den Vorzug. Was mit der Handvoll 22 CV-Prototypen (genaue Anzahl unbekannt) passierte, weiß heute niemand mehr. 

So tauchen immer wieder Geschichten über den 22er auf, je mehr Jahre ins Land gehen; seien sie nun wahr, oder frei erfunden. "Das Geheimnis des 22 CV" gehört zur letzteren Gruppe, und ist dabei übrigens nicht der einzige Comic, der die schickste aller Tractions zum Thema hat. Allerdings ist der eigentliche Star ohnehin nicht „la 22 CV“, sondern eine andere mondäne Dame: Margot heißt sie und arbeitet als Praktikantin bei einer Pariser Automobilzeitung. Schön ist sie außerdem, aber (im wahrsten Wortsinne) absolut ahnungslos, was Autos angeht. Ihre Herren Kollegen möchten sie aufs Glatteis führen und erlauben sich einen Scherz: Für ein Sonderheft über die Traction soll sie einen Artikel über den 22 CV schreiben. Obwohl Margot bei ihren Nachforschungen mehr als einmal Gelächter über ihre Unwissenheit einsteckt, beweist sie genug Biss, um das Schicksal von mindestens zwei Exemplaren aufzudecken – natürlich nicht, ohne darüber in Lebensgefahr zu geraten!

Die Story ist so gut durchkomponiert wie ein Vorabendkrimi, die Qualität der Zeichnungen wunderbar. Nicht nur was Margot betrifft. Geringe Schwächen gibt es nur bei der Übersetzung; so wurde "La Traction" leider allzu oft nicht als Eigenname, sondern als Antriebsart ("Frontantriebler") übersetzt, und aus dem "Faux-Cabriolet" wurde ein "falsches Cabrio". Was aber nichts daran ändert, dass selbst schuld ist, wer sich dieses Buch nicht schleunigst bestellt: Nur 12,90 € kostet ein schöner Abend mit Mademoiselle Margot – Mythos, Phantom und Star in einem, mit dem gewissen Extra...

Olivier Marin / Emilio van der Zuiden: Das Geheimnis des 22 CV. Wattenheim: Eckart Schott Verlag 2010. 48 S., Hardcover. ISBN: 978-3-89908-371-2 . Preis: 12,90 €.

Das Buch ist über den Buchhandel und direkt über den Verlag erhältlich.

In ihren Blogs geben Emilio van der Zuiden und Olivier Marin regelmäßig Einblick in ihre Projekte, hier sogar in die Entstehung der vorliegenden Geschichte! 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen