Mittwoch, 14. Dezember 2011

Stromlinie mal anders: Art Deco and British Car Design

Bid: Veloce Publishing

Wenn es ein Thema gibt, das die Automobile der 30er beherrscht, dann ist es sicherlich die Stromlinie. Jene eiförmige Interpretation der bis dato so kastigen Automobil-Karosserie, die fortan schlüpfriger durch den Wind gleiten sollte.
Standard Flying Twenty (1936) – Prewarcar.com
In Deutschland zwar nicht unbekannt, aber auch nicht bewusst wahrgenommen, buhlten ab 1935 in England die sog. «Airline Cars» um die Gunst der Käufer. Deren Karosserieformen folgten nicht einfach nur dem Diktat des Luftwiderstands – im Gegenteil. Weniger ingeniös als modisch, verbanden sie den Trend mit den Stilmitteln des Art Déco. Selbstverständlich verkürzte das die designtechnische Halbwertzeit, ließ aber auch eine Fülle ganz besonderer Automobile in Klein- und Großserie entstehen, die Barrie Down in seinem Buch «Art Deco and British Car Design – The Airline Cars of the 1930s» zusammengetragen hat.
Hillman Aero Minx (1934) – Cartype.com
Inhaltlich schlüssig und ausführlich hergeleitet, geht der Anglo-Kanadier vom Einfluss des Art Déco als «soziale Revolution» aus, die in den 20er und 30er Jahren sowohl Menschen als auch Dinge erfasste. Hierzu passt der eher technisch geprägte Begriff des «Streamlining» nicht direkt: Tatra T87 oder Rumpler Tropfenwagen sehen verglichen mit den britischen Airline Cars auch heute noch gewagt aus. Der formale Grundcharakter der Stromlinie ließ sich aber zu einem Stilelement reduzieren, das im britischen Automobildesign nunmehr gleichwertig neben anderen Gestaltungsmerkmalen existierte. Den Formgestaltern ging es also nicht um technische Effizienz, sondern um schnelles, modisches Aussehen.
Triumph Gloria Flow Free (1935) – Prewarcar.com
Hier wiederum setzt die Art Déco-Bewegung an: Diese sei als künstlerischer Ausdruck des technischen Fortschritts zu verstehen, für den die Stromlinie einen weithin sichtbaren Symbolcharakter hatte und somit die Phantasie der Kundschaft anzuregen vermochte. Den Beweis findet Down im (hier wieder durchaus technisch bedingten) Flugzeug-Design, das sich nicht zuletzt auch in den Namen der Automobile niederschlug: Hillman Aero Minx, Flying Standard, Singer Airstream – sie alle finden Platz in diesem Buch.


Trotzdem war der Trend nur von kurzer Lebensdauer. Bereits 1935 ging es bergab und die Verkäufe brachen ein, just zu dem Zeitpunkt, als die meisten Airline-Modelle auf dem Markt waren. Wahrscheinlich waren es mehr, als der Markt überhaupt vertrug. Im Jahr darauf waren viele verschwunden, Karosserielinien wurden wieder «entschärft» und verträglicher gemacht. Der Einfluss von Art Deco und Stromform blieb aber sichtbar bestehen. So radikal schlüpfrig wie in der ersten Euphorie sollte das Thema aber dann doch nicht bleiben.
Standard Flying Eight (1938) – Simoncars.co.uk
Fazit: Ein wichtiges Buch mit aufschlussreichem Inhalt und z.T. bemerkenswertem, zeitgenössischem Bildmaterial! Positiv ist die Tatsache, dass die Bilder immer genau zum Textinhalt passend platziert sind – das schaffen nur wenige. Leider lässt die motivische und optische Qualität der Farbfotos manchmal zu wünschen übrig; manche Bilder wirken wie «aus der Hüfte geknipst». Die Texte sind sehr sachlich formuliert und werden vor allem für diejenigen interessant sein, die zu den dargestellten Marken bereits ein gutes Vorwissen haben. Ein Buch zwischen großem Unterhaltungswert und fundiert recherchierter Fachliteratur!

Barrie Down: Art Deco and British Car Design - The Airline Cars of the 1930s. Dorchester: Veloce 2010. Hardcover mit SU, 144 Seiten, 250 x 207 mm, 214 Abb. (118 in Farbe), Sprache Englisch. ISBN: 978-1-845842-52-9, Preis ca. 28 €.  

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