Donnerstag, 29. Dezember 2011

Aus gegebenem Anlass: Die Geschichte des Saab 99

Bild: © Saab Automobile AB
Saab ist endgültig pleite, am Ende, ausgezehrt, hat neun Monate lang keine Autos mehr verkauft. Schuld ist GM, denn der Konzern verweigert wichtige Produktionslizenzen. Aber ein „echter“ Saab-Fan fährt ja ohnehin nur einen zwischen 1979 und 1993 gebauten 900, und rümpft mit Blick auf das unrühmliche GM-Gepräge der 90er Jahre auch noch rückwirkend die Nase. Der (zugegebenermaßen durchaus begründbare) Saabfahrer-Dünkel steht in der Tradition eines extrem gut durchkonstruierten Wagens: des Saab 99.


Seine Entwicklung als „Projekt Gudmund“ begann 1964. Das Ziel: ein sicheres, zuverlässiges, modernes Weltauto mit „schwedischen“ Tugenden. Und ein deutlicher Kontrapunkt zum „Buckelsaab“ 96. Zu diesem Zweck wechselten sogar einige Ingenieure aus Saabs Flugzeug-Abteilung samt ihren Kenntnissen und Erfahrungen in das Auto-Entwicklungsteam. Das Stahlgerippe erwies sich am Ende als unglaublich steif, das Blech selbst als wahnwitzig dick und übrigens auch als besonders gut korrosionsgeschützt. 

Bild: © Saab Automobile AB
Für die Entwicklung eines neuen Viertaktmotors (zur Erinnerung: der 96 bediente sich im Ford V4-Regal) holte Saab sich Hilfe bei der englischen Firma Ricardo, die zufällig gerade einen Motor für Standard-Triumph entwarf. Eine daraus erwachsene Kooperation sah zwar den Bau der Motoren in England vor, bedeutete aber nicht, dass Saab die Unzuverlässigkeit des englischen Triebwerks in Kauf nahm. Im Gegenteil: An dem 1.709 cm³ großen 80 PS-Motor mit oben liegender Nockenwelle und Querstromkopf ließen die Schweden Änderungen vornehmen, die Triumph auch gut zu Gesicht gestanden hätten. Da der Motor ohnehin mit einer 45°-Neigung konstruiert war, verlegten sie zudem das Getriebe unter den Motorblock und die Kupplung nach vorne, was bis heute ungewöhnlich (sprich: „saabisch“) ist und deutsche Mechanikerköpfe vor echte Probleme stellt.
Bild: © Saab Automobile AB
Frontantrieb war für schwedische Schotterstraßen obligatorisch, wie auch eine reichhaltige Basisausstattung: alle 99er verfügten zum Beispiel über eine umlegbare Rücksitzbank, Scheibenbremsen rundum und eine beeindruckende Heizleistung. 1968, also nur ein Jahr vor Produktionsanlauf, war Gudmund zwar weitgehend fertig, aber die Erprobung ging weiter. Es war, so schreibt der Autor Martin Gollnick in seiner „Schrader-Typen-Chronik“, „das beste Beispiel dafür, was man unter „saabisch“ zu verstehen hatte: Ein ausgewählter Kreis von Privatpersonen bekam jeweils für einige Monate einen Saab 99 zur Verfügung gestellt. Einzige Bedingung: Sie sollten dem Hersteller über ihre Ansicht zu dem Auto und über ihre mit ihm gemachten Erfahrungen berichten.“

Bilder: © Saab Automobile AB
Ein Grund, warum die Presse nach Erscheinen des Wagens nur wenige Kritikpunkte fand. Auffällig war vor allem das Design: Chefdesigner Sixten Sason und Björn Envall hatten eine zweitürige Stufenheck-Karosserie entworfen, über die es in dem Buch „Saab 99 and 900 – The Complete Story“ heißt:
„For the 99, Sason drew on Italian themes and an awareness of American product design to create a distinctive Swedish shape, which, nevertheless, had international appeal. Alongside its contemporaries, the 99 looked fresh and timeless without being gimmicky. […] The 92 may have been Sason‘s most visually stunning automotive sculpture – but perhaps it is the Saab 99, with its maturity and wholeness of design that became the greatest tribute to his abilities.“


Bild: © Saab Automobile AB
Ein Entwurf also, der noch Reserven hatte. 1970 kam der Viertürer, das Folgejahr brachte energieabsorbierende Plastikstoßstangen, die die bisherigen Edelstahl-Teile (!) ersetzten. Dem sportlich abgestimmten 99 EMS, der 1972 erschien, wurde erstmals der sogenannte „B-Motor“ mit 1.985 cm³ und 110 PS implantiert, den Saab nunmehr selbst baute.
1974 wurde das Jahr des „Combi-Coupé“ (abgekürzt CC), eine Fließheck-Variante mit zwei Türen und großer Heckklappe (formal die wohl stimmigste Variante), ab 1976 auch als Fünftürer zu haben. 1977 stellte Saab den legendären 145 PS starken Turbo vor – aber das ist eine Geschichte für sich. Motorseitig tat sich erst 1982 wieder etwas, als der 99 den zuvor im 900 eingeführten 2,0 L „H-Motor“ mit nunmehr 100 PS erhielt. Nach einem letzten, dem 900 angenäherten Facelift an Stoßfängern und Grill (der 900 war ohnehin nicht weniger als eine Weiterentwicklung des 99), endete die Produktion 1984. 
Bild: © Saab Automobile AB
Und ging 1985 irgendwie dann doch noch einmal weiter: der Saab 90 vereinte die Front des 99 mit dem Heck des 900 Sedan und wurde bis 1987 im schweden-finnischen Nystad (Uusikaupunki) gebaut. Saab-Fans dulden den Zwitter. Und so langsam fangen sie sogar an, ihn zu mögen.





Bild: © Saab Automobile AB
Am ausführlichsten lässt sich die Geschichte des Saab 99 (inclusive der des 900 und der Turbo-Saga) in dem bereits oben zitierten Buch von Lance Cole nachlesen. Leider sind die meisten Abbildungen nur schwarz/weiß, wobei die Druckqualität insgesamt eher mäßig ist. Farbfotos sind auf nur acht Seiten in der Mitte zu finden. Informationen zu Farbgebungen, Produktionszahlen, Preisen (in britischen Pfund) und technische Zeichnungen tragen zu inhaltlicher Tiefe bei. Die wenigen technischen Daten aber werden dem Anspruch des Werkes nicht gerecht. Trotzdem: Wer fundiert die Geschichte der Typen 99 und 900 nachlesen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Die Schrader-Typen-Chronik ist mit ihren durchgängig farbigen Auszügen aus deutschsprachigem Prospektmaterial die perfekte Ergänzung – taugt aber auch für sich alleine als sehr erhellende Grundsatzlektüre!


Lance Cole: Saab 99 and 900, The Complete Story. 160 Seiten, Format 25,4 x 19,7 x 1,8 cm, Hardcover mit SU, The Crowood Press, ca. 25 €, ISBN: 978-1-86126-429-9.

Martin Gollnick: Saab 99, 90 & 900 (Schrader-Typen-Chronik). 96 Seiten, Format 24,8 x 22,6 x 1,2 cm, gebunden, Motorbuch Verlag, 9,95 €, ISBN: 978-3-613-02859-3.

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