Donnerstag, 29. Dezember 2011

Aus gegebenem Anlass: Die Geschichte des Saab 99

Bild: © Saab Automobile AB
Saab ist endgültig pleite, am Ende, ausgezehrt, hat neun Monate lang keine Autos mehr verkauft. Schuld ist GM, denn der Konzern verweigert wichtige Produktionslizenzen. Aber ein „echter“ Saab-Fan fährt ja ohnehin nur einen zwischen 1979 und 1993 gebauten 900, und rümpft mit Blick auf das unrühmliche GM-Gepräge der 90er Jahre auch noch rückwirkend die Nase. Der (zugegebenermaßen durchaus begründbare) Saabfahrer-Dünkel steht in der Tradition eines extrem gut durchkonstruierten Wagens: des Saab 99.


Seine Entwicklung als „Projekt Gudmund“ begann 1964. Das Ziel: ein sicheres, zuverlässiges, modernes Weltauto mit „schwedischen“ Tugenden. Und ein deutlicher Kontrapunkt zum „Buckelsaab“ 96. Zu diesem Zweck wechselten sogar einige Ingenieure aus Saabs Flugzeug-Abteilung samt ihren Kenntnissen und Erfahrungen in das Auto-Entwicklungsteam. Das Stahlgerippe erwies sich am Ende als unglaublich steif, das Blech selbst als wahnwitzig dick und übrigens auch als besonders gut korrosionsgeschützt. 

Bild: © Saab Automobile AB
Für die Entwicklung eines neuen Viertaktmotors (zur Erinnerung: der 96 bediente sich im Ford V4-Regal) holte Saab sich Hilfe bei der englischen Firma Ricardo, die zufällig gerade einen Motor für Standard-Triumph entwarf. Eine daraus erwachsene Kooperation sah zwar den Bau der Motoren in England vor, bedeutete aber nicht, dass Saab die Unzuverlässigkeit des englischen Triebwerks in Kauf nahm. Im Gegenteil: An dem 1.709 cm³ großen 80 PS-Motor mit oben liegender Nockenwelle und Querstromkopf ließen die Schweden Änderungen vornehmen, die Triumph auch gut zu Gesicht gestanden hätten. Da der Motor ohnehin mit einer 45°-Neigung konstruiert war, verlegten sie zudem das Getriebe unter den Motorblock und die Kupplung nach vorne, was bis heute ungewöhnlich (sprich: „saabisch“) ist und deutsche Mechanikerköpfe vor echte Probleme stellt.
Bild: © Saab Automobile AB
Frontantrieb war für schwedische Schotterstraßen obligatorisch, wie auch eine reichhaltige Basisausstattung: alle 99er verfügten zum Beispiel über eine umlegbare Rücksitzbank, Scheibenbremsen rundum und eine beeindruckende Heizleistung. 1968, also nur ein Jahr vor Produktionsanlauf, war Gudmund zwar weitgehend fertig, aber die Erprobung ging weiter. Es war, so schreibt der Autor Martin Gollnick in seiner „Schrader-Typen-Chronik“, „das beste Beispiel dafür, was man unter „saabisch“ zu verstehen hatte: Ein ausgewählter Kreis von Privatpersonen bekam jeweils für einige Monate einen Saab 99 zur Verfügung gestellt. Einzige Bedingung: Sie sollten dem Hersteller über ihre Ansicht zu dem Auto und über ihre mit ihm gemachten Erfahrungen berichten.“

Bilder: © Saab Automobile AB
Ein Grund, warum die Presse nach Erscheinen des Wagens nur wenige Kritikpunkte fand. Auffällig war vor allem das Design: Chefdesigner Sixten Sason und Björn Envall hatten eine zweitürige Stufenheck-Karosserie entworfen, über die es in dem Buch „Saab 99 and 900 – The Complete Story“ heißt:
„For the 99, Sason drew on Italian themes and an awareness of American product design to create a distinctive Swedish shape, which, nevertheless, had international appeal. Alongside its contemporaries, the 99 looked fresh and timeless without being gimmicky. […] The 92 may have been Sason‘s most visually stunning automotive sculpture – but perhaps it is the Saab 99, with its maturity and wholeness of design that became the greatest tribute to his abilities.“


Bild: © Saab Automobile AB
Ein Entwurf also, der noch Reserven hatte. 1970 kam der Viertürer, das Folgejahr brachte energieabsorbierende Plastikstoßstangen, die die bisherigen Edelstahl-Teile (!) ersetzten. Dem sportlich abgestimmten 99 EMS, der 1972 erschien, wurde erstmals der sogenannte „B-Motor“ mit 1.985 cm³ und 110 PS implantiert, den Saab nunmehr selbst baute.
1974 wurde das Jahr des „Combi-Coupé“ (abgekürzt CC), eine Fließheck-Variante mit zwei Türen und großer Heckklappe (formal die wohl stimmigste Variante), ab 1976 auch als Fünftürer zu haben. 1977 stellte Saab den legendären 145 PS starken Turbo vor – aber das ist eine Geschichte für sich. Motorseitig tat sich erst 1982 wieder etwas, als der 99 den zuvor im 900 eingeführten 2,0 L „H-Motor“ mit nunmehr 100 PS erhielt. Nach einem letzten, dem 900 angenäherten Facelift an Stoßfängern und Grill (der 900 war ohnehin nicht weniger als eine Weiterentwicklung des 99), endete die Produktion 1984. 
Bild: © Saab Automobile AB
Und ging 1985 irgendwie dann doch noch einmal weiter: der Saab 90 vereinte die Front des 99 mit dem Heck des 900 Sedan und wurde bis 1987 im schweden-finnischen Nystad (Uusikaupunki) gebaut. Saab-Fans dulden den Zwitter. Und so langsam fangen sie sogar an, ihn zu mögen.





Bild: © Saab Automobile AB
Am ausführlichsten lässt sich die Geschichte des Saab 99 (inclusive der des 900 und der Turbo-Saga) in dem bereits oben zitierten Buch von Lance Cole nachlesen. Leider sind die meisten Abbildungen nur schwarz/weiß, wobei die Druckqualität insgesamt eher mäßig ist. Farbfotos sind auf nur acht Seiten in der Mitte zu finden. Informationen zu Farbgebungen, Produktionszahlen, Preisen (in britischen Pfund) und technische Zeichnungen tragen zu inhaltlicher Tiefe bei. Die wenigen technischen Daten aber werden dem Anspruch des Werkes nicht gerecht. Trotzdem: Wer fundiert die Geschichte der Typen 99 und 900 nachlesen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Die Schrader-Typen-Chronik ist mit ihren durchgängig farbigen Auszügen aus deutschsprachigem Prospektmaterial die perfekte Ergänzung – taugt aber auch für sich alleine als sehr erhellende Grundsatzlektüre!


Lance Cole: Saab 99 and 900, The Complete Story. 160 Seiten, Format 25,4 x 19,7 x 1,8 cm, Hardcover mit SU, The Crowood Press, ca. 25 €, ISBN: 978-1-86126-429-9.

Martin Gollnick: Saab 99, 90 & 900 (Schrader-Typen-Chronik). 96 Seiten, Format 24,8 x 22,6 x 1,2 cm, gebunden, Motorbuch Verlag, 9,95 €, ISBN: 978-3-613-02859-3.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Stromlinie mal anders: Art Deco and British Car Design

Bid: Veloce Publishing

Wenn es ein Thema gibt, das die Automobile der 30er beherrscht, dann ist es sicherlich die Stromlinie. Jene eiförmige Interpretation der bis dato so kastigen Automobil-Karosserie, die fortan schlüpfriger durch den Wind gleiten sollte.
Standard Flying Twenty (1936) – Prewarcar.com
In Deutschland zwar nicht unbekannt, aber auch nicht bewusst wahrgenommen, buhlten ab 1935 in England die sog. «Airline Cars» um die Gunst der Käufer. Deren Karosserieformen folgten nicht einfach nur dem Diktat des Luftwiderstands – im Gegenteil. Weniger ingeniös als modisch, verbanden sie den Trend mit den Stilmitteln des Art Déco. Selbstverständlich verkürzte das die designtechnische Halbwertzeit, ließ aber auch eine Fülle ganz besonderer Automobile in Klein- und Großserie entstehen, die Barrie Down in seinem Buch «Art Deco and British Car Design – The Airline Cars of the 1930s» zusammengetragen hat.
Hillman Aero Minx (1934) – Cartype.com
Inhaltlich schlüssig und ausführlich hergeleitet, geht der Anglo-Kanadier vom Einfluss des Art Déco als «soziale Revolution» aus, die in den 20er und 30er Jahren sowohl Menschen als auch Dinge erfasste. Hierzu passt der eher technisch geprägte Begriff des «Streamlining» nicht direkt: Tatra T87 oder Rumpler Tropfenwagen sehen verglichen mit den britischen Airline Cars auch heute noch gewagt aus. Der formale Grundcharakter der Stromlinie ließ sich aber zu einem Stilelement reduzieren, das im britischen Automobildesign nunmehr gleichwertig neben anderen Gestaltungsmerkmalen existierte. Den Formgestaltern ging es also nicht um technische Effizienz, sondern um schnelles, modisches Aussehen.
Triumph Gloria Flow Free (1935) – Prewarcar.com
Hier wiederum setzt die Art Déco-Bewegung an: Diese sei als künstlerischer Ausdruck des technischen Fortschritts zu verstehen, für den die Stromlinie einen weithin sichtbaren Symbolcharakter hatte und somit die Phantasie der Kundschaft anzuregen vermochte. Den Beweis findet Down im (hier wieder durchaus technisch bedingten) Flugzeug-Design, das sich nicht zuletzt auch in den Namen der Automobile niederschlug: Hillman Aero Minx, Flying Standard, Singer Airstream – sie alle finden Platz in diesem Buch.


Trotzdem war der Trend nur von kurzer Lebensdauer. Bereits 1935 ging es bergab und die Verkäufe brachen ein, just zu dem Zeitpunkt, als die meisten Airline-Modelle auf dem Markt waren. Wahrscheinlich waren es mehr, als der Markt überhaupt vertrug. Im Jahr darauf waren viele verschwunden, Karosserielinien wurden wieder «entschärft» und verträglicher gemacht. Der Einfluss von Art Deco und Stromform blieb aber sichtbar bestehen. So radikal schlüpfrig wie in der ersten Euphorie sollte das Thema aber dann doch nicht bleiben.
Standard Flying Eight (1938) – Simoncars.co.uk
Fazit: Ein wichtiges Buch mit aufschlussreichem Inhalt und z.T. bemerkenswertem, zeitgenössischem Bildmaterial! Positiv ist die Tatsache, dass die Bilder immer genau zum Textinhalt passend platziert sind – das schaffen nur wenige. Leider lässt die motivische und optische Qualität der Farbfotos manchmal zu wünschen übrig; manche Bilder wirken wie «aus der Hüfte geknipst». Die Texte sind sehr sachlich formuliert und werden vor allem für diejenigen interessant sein, die zu den dargestellten Marken bereits ein gutes Vorwissen haben. Ein Buch zwischen großem Unterhaltungswert und fundiert recherchierter Fachliteratur!

Barrie Down: Art Deco and British Car Design - The Airline Cars of the 1930s. Dorchester: Veloce 2010. Hardcover mit SU, 144 Seiten, 250 x 207 mm, 214 Abb. (118 in Farbe), Sprache Englisch. ISBN: 978-1-845842-52-9, Preis ca. 28 €.  

Dienstag, 6. Dezember 2011

Beflügeltes Heiligtum: Mercedes-Benz 300 SL


Gefühlt müssen es tausende Artikel und Bücher sein, die in den letzten 20 Jahren dem 300 SL Flügeltürer gewidmet wurden. Das Buch von Mike Riedner und Günter Engelen ist zwar keine Neuheit, sondern eines der ersten Bücher überhaupt zum Thema. Aber es ist von der ersten bis zur letzten Seite gelungen, und immer noch lieferbar!


Der 300 SL gehört bekanntlich zu jenen deutschen Automobilen, die schon bald nach ihrem Erscheinen zum automobilen Heiligtum erhoben wurden und durch sportliche Erfolge den Stolz der Nation auf «ihre» Marke festigten. Die Autoren zeichnen diese Geschichte des 300ers mit zahlreichen historischen Fotos, technischen Zeichnungen und Abbildungen aus dem Werk nach. Ergänzt werden diese durch stimmungsvolle Farbfotos von Hans-Dieter Seufert, und zu guter Letzt beantwortet ein umfangreicher Anhang mit Ausstattungscodes, Fahrgestellnummern und technischen Daten mehr Fragen, als man als nicht-Eigentümer eines SL überhaupt stellen mag.


Auch Interviews mit Rudolf Uhlenhaut oder Hans Scherenberg fehlen nicht: Die erste Auflage datiert von 1989, Uhlenhaut starb während der Drucklegung. 22 Jahre später ist das Werk nun selbst ein Objekt geworden, das zur Geschichte des 300 SL gehört: ein letztes Zeugnis seiner Erfinder und ein erstes Manifest seiner Bewunderer.


Mike Riedner, Günter Engelen: Mercedes-Benz 300 SL – Vom Rennsport zur Legende. Stuttgart: Motorbuch Verlag 2008. 288 Seiten, 246 s/w Bilder & 60 Farbbilder & 31 Zeichnungen, Format: 230mm x 265mm, broschiert. ISBN: 978-3-613-02937-8, Preis 19,95 €

Dienstag, 29. November 2011

Koto Bolofo: Vroom! Vroom!


Es müssen hunderte sein, jedes Jahr. Hunderte Bildbände über und mit Automobilen, einer teurer als der andere, aber nicht unbedingt schöner, und mit einem immer sehr ähnlichen, durch Lifestyle-Magazine und Hochglanzprints vorgeprägten Bildstil, der ohne Photoshop gar nicht denkbar wäre. Fotografie als „Kunsthandwerk“ ist hingegen selten geworden. 1926 schrieb der Filmkritiker Béla Balázs: „Jede Einstellung der Kamera bedeutet eine innere Einstellung des Menschen. Jeder Eindruck, im Bilde festgehalten, wird zu einem Ausdruck, ob das beabsichtigt war oder nicht. das braucht nur, bewußt oder intuitiv, gehandhabt zu werden, und die Photographie wird zur Kunst.“

In „Vroom! Vroom!“ von Koto Bolofo ist diese „altbewährte“ Art der analogen, künstlerischen Fotografie zu finden. Motivisch geht es um Handarbeit, um Metall, um Blech, und um die Menschen und Maschinen, die den alten Bugattis in der Werkstatt von Ivan Dutton Ltd. in Buckinghamshire ihre funktionale Form zurückgeben. Vor Bolofos Kamera entblößen die Autos ihre Einzelteile, manche von ihnen wirken regelrecht verfremdet. Und doch hat sie der Fotograf nur zufällig auf der Werkbank oder in den Händen ihrer sie streichelnden Mechaniker entdeckt: Er inszeniert nicht, sondern beobachtet – und erkennt dabei so manches Detail, das dem nüchtern denkenden Restaurator mitunter verborgen bleiben mag. 
Durch das cremefarbene, fast ledern wirkende Papier und das große Format strahlen die schwarz/weiß-Bilder Wärme aus. Das Buch selbst riecht (dem Steidl-Verlag sei Dank!) nach Farbe, Leim und traditionellem Handwerk: Besser, als es jeder Film oder geschliffen formulierte Artikel könnte, ermöglicht es dem Betrachter, die Ästhetik einer technischen Arbeit zu fühlen und zu riechen. So lassen sich auf frisch bearbeiteten Metallteilen verschwommener Provenienz sämtliche Kratzer und Riefen scheinbar einzeln ertasten. Bohren wird zur Zeremonie: wenn der Mechaniker seine Flasche Schneidöl auf ein Werkstück hernieder senkt, fängt Bolofo eine groteske Art statischer Bewegung ein, die sich vor dem geistigen Auge vor- und zurückspulen lässt.
„Like magic, a curve and shape emerge, recorded by my camera. Click! Click! Vroom! Vroom! The photographs take one to a journey of artistic innovation and aspiration.“, schreibt der Südafrikaner in seinem kurzen Vorwort, das übrigens den einzigen Text darstellt. Der Künstler ist ein gutes Beispiel für einen „Fachfremden“, der sich gekonnt an Autos wagt: als Modefotograf arbeitet er unter anderem für die „Vogue“ und die größten der Branche. Die Kunst bei der Modefotografie liege in der Spontaneität, erklärt er in dem unten stehenden Film. „Mein Ziel war, durch die Fotografie eine Art Zeitlosigkeit zu entwickeln, aus der Bilder entstehen, die man aus dem Magazin herausreißen und an die Wand pinnen möchte.“


Mit „Vroom!Vroom!“ hat er das ebenso geschafft. Koto Bolofos Bilder zeigen, dass es nicht mehr als eine innere Einstellung und großes handwerkliches Können braucht, um eindrucksvolle Bilder von klassischem Auto-Handwerk zu machen. In Zeiten, da Photoshop als Erweiterung der Linse gilt, ein echter Lichtblick.

Bild: Steidl Verlag

Koto Bolofo: Vroom! Vroom! Göttingen: Steidl 2010. Hardcover, 96 Seiten, Größe 36,9 x 29,8 x 1,8 cm, ISBN-13: 978-3865219619, Preis 56 €.
Zum Steidl-Verlag
Hier gewährt der Autor Einblick in's Buch!









P.S.: „Vroom! Vroom!“ ist nicht das erste Auto-verbundene Projekt von Koto Bolofo: 2005 erschien „Racing Style: The Goodwood Revival“.




Montag, 14. November 2011

Netz-Fundstück: Urlaub mit dem VW 1958

Verklärende Hymnen über die glorreiche Zeit der 50er Jahre, als man mit Fahrzeugen jeglicher Art die Alpen bezwang, sind bekannt. Unbekannt ist, welcher Mannheimer 1958 ein Fotoalbum mit seinen Urlaubserlebnissen zusammenstellte. Mit dem Käfer ging es über München und Berchtesgaden an den Wörthersee – und den Urlaubern scheint die Tour sichtlich Spaß gemacht zu haben! 


Das Album ist in Big Blue's Online Carburetor zu finden!





Donnerstag, 10. November 2011

Volkswagen-Wanderzirkus: Die Formel Vau

Bei aller Nostalgie vergisst man gerne mal, wie anders die Welt im Jahre 1965 noch aussah. „Warum verfiel man gerade auf die V-Formel mit der veralteten Konstruktion des Volkswagens als Grundlage? Warum nahm man für diese Autos kein modernes Fahrwerk und keinen leistungsfähigen Motor?“, fragte hobby in Heft 10/1965 über den „Rennwagen für Jedermann“.
Im Gegensatz zu heute spielte der Formelrennsport beim deutschen Publikum damals eine untergeordnete Rolle; der Tourenwagensport war populärer und galt für die Hersteller als besonders werbewirksam. Umso sensationeller muss es der hobby- Redaktion erschienen sein, dass es nunmehr einen Volks-Formelwagen geben sollte. 
Die Idee stammte (natürlich) aus den USA, wo Hubert L. Bundage einen Rennwagen auf Basis des VW 1200 realisieren wollte. Ein von Nardi in Italien gebaute Prototyp erwies sich aber als zu lahm, und zu allem Überfluss bedachte ihn das Nordhoff-regierte Volkswagenwerk mit einer unmissverständlichen Abmahnung aufgrund der Zweckentfremdung von VW-Teilen. Erst der in Florida ansässigen Firma Formcar gelang ein renntauglicher VW-Bolide, von dem Huschke von Hanstein sechs Bausätze nach Deutschland holte und von Porsche montieren ließ: Für 10.000 DM würde der Renner durchaus massentauglich sein, stellte er sich vor. Der Bedarf war da, denn Formel 2 und Formel Junior waren bereits so teuer geworden, dass Rennsport-Einsteiger mit geringem Budget keine Chance mehr hatten.
Edgar Barth, Porsche-Werksfahrer, beantwortete die eingangs gestellte Frage jedenfalls mit dem heute gängigen Postulat aller Markenpokale: Eine Nachwuchsformel dürfe gar nicht zu schnell sein, weil nicht das Frisieren der Motoren entscheidend sein solle, sondern das Können der Fahrer.
Sein Kollege Gerhard Mitter sah die Sache indes ganz anders: „Die Dinger sind gewiß schöne Spielzeuge, aber kaum geeignet für den Fahrer-Nachwuchs. Dazu ist ihr Fahrgestell einfach zu primitiv; es gewährleistet nicht das Fahrverhalten eines Rennwagens von heute. Außerdem ist der Motor natürlich viel zu schwach. Damit kann man keinen Powerslide fahren; und mit dem ‚Rennstil‘ dürfte es deshalb auch nicht weit her sein. Ein Gefühl für Grenzwerte bekommt der Nachwuchsfahrer auf den V-Wagen nicht. Und das ist das Wichtigste beim Rennenfahren.“
Bild: Powerslide
Dass Mitter mit seiner hochgeschätzten Meinung enorm daneben lag, zeigt das Powerslide-Magazin in einem sehr gelungenen Sonderheft, das in Zusammenarbeit mit der Historischen Formel Vau Europa e.V. entstanden ist.
Die historische Entwicklung der immer schneller werdenden Formel Vau ist darin ebenso dargestellt wie die Geschichten bedeutender Fahrer. Obwohl sich immer wieder Namen wie Niki Lauda, Pedro Rodriguez, Mario Andretti oder Keke Rosberg finden, blieb nicht jeder Vau-Pilot dem Motorsport treu. Mitunter recht privat sind daher die Einblicke in die Leben der Vau-Champions von einst, und das Heft liest sich stellenweise wie ein nostalgisches Familienalbum. „Vau-Stories“ von Rainer Braun, seinerzeit selbst erfolgreicher Pilot, komplettieren das Heft, das übrigens auch diverse Statistiken und Tabellen aufweist.
Formel Vau 1300 2-Vergaser. Bild: www.formel-vau.eu
Was Huschke von Hanstein anfangs als seinen „VW-Wanderzirkus“ bezeichnete – mit den sechs Formcar-Vau trat er im Rahmenprogramm verschiedener Meisterschaftsläufe auf – gedieh rasant: Schon 1966 wurde der ONS-Pokal für Formel Vau-Rennwagen ausgeschrieben, bei dem nicht weniger als 100 Fahrer genannt waren. Weitere Hersteller drängten auf den Volksformel-Markt, manch einer baute sich seinen Renner strikt regelkonform auch einfach selbst.
Der erste Formel Super Vau. Bild: www.formel-vau.eu
Bis 1970 hatte man die anämischen 35 PS allmählich durch leistungsstärkere Motoren mit bis zu 80 PS ersetzt, und 1971 trat die Formel Super Vau an, der Formel 3 ihre jungen Talente abspenstig zu machen. Eine Reglement-Änderung hob ab 1973 die Formel V 1300 mit ihren charakteristischen Zweivergaser-Anlagen aus der Taufe. Es war die Blütezeit von Kaimann, Motul, RSM und anderen Rennwagenbauern, das Vorbild Formel 1 sah man den Boliden immer deutlicher an. Übrigens: 1973 gab es rund 5000 VW-Monoposti weltweit. Das macht den Einstieg in den historischen Formel-Rennsport heute erschwinglich, wie in der November-Ausgabe von Oldtimer Markt zu lesen ist. Ein rennfertiger Einvergaser-Vau kostet demnach nur rund 10.000 Euro. Fast wie damals!

Das Powerslide-Sonderheft zur Formel Vau ist nicht im Handel, sondern nur über den Online-Shop des Magazins zum Preis von 4,80 € erhältlich.

Freitag, 4. November 2011

Autobücher im Netz (2): Von Flugzeugen und Hoopties

Jay Leno's Book Club ist eine wahre Fundgrube für Bücher, die hierzulande niemals einen Weg in die Rezensionsspalten finden würden. "World's Fastest Four-Engine Piston-Powered Aircraft" ist nicht einfach nur ein atemberaubend langer Titel, sondern noch dazu ein Buch über ein...Flugzeug. Tatsächlich. Aber: George Hildebrand, der Designer hinter dem Projekt "Republic XR-12" entwarf Autos, bevor er in die Luft ging – und entwarf Autos, als die XR-12 erfolglos wieder gelandet war, nachdem sie nie so recht abgehoben hatte. Jays Unterhaltung mit dem Autor des Buches – der kein geringerer ist als Hildebrands Neffe – scheint ein hochinteressanter Blick über den Tellerrand zu sein!



Bild: hooptie.de
Über den Niedergang der Stadt Detroit ist viel geschrieben worden. Von Wirtschaftskrisen gebeutelt, wird die Autostadt zur Geisterstadt – ein morbider Charme, den vor allem diejenigen anziehend finden, die nicht in ihr leben. Drei Grafik-Designer aus Deutschland unternahmen etwas ganz besonderes: Mehrere Monate gingen sie in Detroit auf die Suche nach besonderen Schriften. Dabei entdeckten sie allerhand, zum Beispiel die Allgegenwart der "Hoopties": Abgewrackte Verbrauchtwagen, poetisch definiert als Any car that I can afford since my second divorce. Aber auch die Geschichten und Persönlichkeiten, die die Motor City groß gemacht haben, spielten für die Designer plötzlich eine Rolle. So entwickelten sie nicht nur eine Schrift namens "Hooptie Script", sondern gestalteten auch noch das "Motor City Book". Das konnte leider bis dato mangels Verlag noch nicht erscheinen – doch immerhin ist es bereits virtuell zugänglich.
Hier kann das Buch durchgeblättert werden!


Alle Bilder: VeloceToday
Der dokumentarische Kinofilm "Senna" kam wohl nicht bei jedem gut an: Brandes Elitch von VeloceToday jedenfalls schreibt in seinem Artikel "Senna, Manso and a Dog", er habe nach dem Kinobesuch nicht mehr über den Rennfahrer Ayrton Senna gewusst als vorher – zudem sei nichts zu den spezifischen Charakteristika der Autos und Strecken erklärt worden, auf denen Senna fuhr. Doch der Rezensent empfiehlt in seinem amüsanten und lesenswerten Artikel gleich zwei (natürlich englischsprachige) Buchtitel. Warum? Ganz einfach: The difference between the book and the movie is the difference between being a fly on the wall in a psychiatrist’s office and watching a newsreel. 
"Vrooom!! – Conversations with the Grand Prix Champions" von Peter Manso enthält ungewöhnliche Interviews mit den Rennsport-Größen von einst. Manso nahm sich Zeit, lebte mit ihnen den Rennzirkus, wurde zum Freund, und durfte deshalb auch ungewöhnliche Fragen stellen. 
Und dann wäre da noch der Roman "The Art of Racing in the Rain" von Garth Stein, der aus der Sicht eines Hundes eine Familiengeschichte erzählt und rein zufällig mit einem Senna-Zitat beginnt: “With your mind power, your determination, your instinct, and experience as well, you can fly very high.”.

Freitag, 21. Oktober 2011

Neues vom Küchentisch: Auto

Bild: Hermann Schmidt Verlag
Ein wenig Faden, ein paar Knöpfe, Draht, oder was sonst noch so auf dem Küchentisch herumliegt: mehr braucht es nicht, um ein Auto zu gestalten. Richtig mit Rädern und Karosserie und so. Jaja, zugegeben – Stift und Papier wären auch eine Lösung. Die wäre aber nicht halb so witzig, denn der Designer Sebastian Cremers wollte wohl in erster Linie seinem dreijährigen Sohn eine Freude machen. So kann dann auch mal ein Wattestäbchen als Raketenreiniger auf Rädern vorbeirasen, mit einem Schweif, so lässig wie eine Elvis-Tolle beim Föhnen.
Oder wie wäre es mit dem wohl rudimentärsten John Deere- Traktor ever? Eine Kombination aus Blechdose, Holz-Irgendwas und sonstigem Zeug schafft, dass es kein Lanz wird. Trotzdem hat das der Betrachter zuallererst dem Assoziationsvermögen seines Hirns zu verdanken. Sie erinnern sich: das ist dieses weiche Ding im Oberstübchen, das gerade den berufsmäßig Kreativen zu Kopfschmerzen und wilden Einfällen verhilft. 
Cremers‘ kreative Kreationen jedenfalls beweisen, dass es nicht viel braucht, damit der Mensch „Auto“ denkt. Fast schon eine visuelle Tautologie: Der Alltagsgegenstand wird aus Alltagsgegenständchen immer neu erfunden. Der Betrachter grinst, und ertappt sich sogleich beim Rätseln über die Provenienz der Einzelteile.
Eine „Fahrschule des Sehens“ nennt es der Verlag Hermann Schmidt aus Mainz, hat dabei aber auch an die Haptik gedacht: nicht nur der Einband weist einen satinierten Folienüberzug auf, auch die Seiten sind auf diese Weise veredelt. Das sorgt für ein besonderes Gesamterlebnis und das Fazit: „Auto“ ist eine simple, aber grandiose Idee, und dazu noch ganz famos umgesetzt. Dank Oberstübchen!
Sebastian Cremers: Auto. Mainz: Verlag Hermann Schmidt 2011. 64 Seiten, 30 farbige, mit Achilles soft touch folienveredelte Abbildungen. 17,5 x 12,2 cm. Fadenheftung, Festeinband, ISBN: 978-3-87439-823-7. Preis: 15 Euro.

Samstag, 15. Oktober 2011

Der ADAC Motorwelt Autobuch-Preis 2011

Die Frankfurter Buchmesse bot dieses Jahr eine Premiere für Auto-Enthusiasten: Die Vergabe des ADAC Motorwelt Autobuch-Preises an die Autoren und Verlage der besten Autobücher. Als wohl einziger Preis seiner Art in Deutschland ersetzt er nunmehr den MPC-Autobuchpreis des Motor-Presse-Club.

Thomas Burkhardt vom ADAC betonte in seiner Rede den Zweck des Preises: er solle das Autobuch fördern, da dieses es schwer habe, mehr als nur eine Nische zu finden. Die fünfköpfige Jury habe ihre Entscheidung dahingehend „mit Kompetenz und Emotion getroffen“.
Initiator und Jurymitglied Jürgen Lewandowski überreichte den Preisträgern die Auszeichnungen in fünf Kategorien, die unten stehende Liste spricht für sich. Dennoch seien einige Titel hervorgehoben:

In der Kategorie „Design“ landete das Buch „Waft 2“ auf dem zweiten Platz – Kenner erinnern sich noch an den ersten Band, der mit individuellen Ölflecken auf dem Deckel daherkam. Waft ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein Buch nur aus Leidenschaft für die Sache, und nicht aus wirtschaftlichem Kalkül entstehen kann. Die Autoren Bart Lenaerts und Lies de Mol, zwei Belgier „mit dem Mut zu völlig ausgefallenen Sachen“, besprühten jeden einzelnen Buchdeckel der auf 1000 Exemplare limitierten Auflage einzeln mit dem Lack eines besonderen Fahrzeugs. 

Das erstplatzierte Buch der Kategorie Design hatte es schon schwer, überhaupt zu erscheinen: Grafikdesigner Sven Voelker war aufgefallen, dass niemand darüber sprach, wer eigentlich die berühmten Rennwagen der 70er Jahre gestaltet hat. Zur Lösung des Problems fotografierte er die Spielzeugautos seiner Jugend in zwei unterschiedlichen Verkleidungen: erst original und farbig, dann in einer Livrée aus weißer Kreidestaub-Farbe. „Jeder Modellauto-Sammler wäre empört über das, was ich mit den Autos angestellt habe!“, scherzt er, doch das Buch „Go Faster“ entschädigt für vieles. Es ist eine wohltuende Abweichung von der Konvention, an der Schnittstelle zwischen Automobil-Thematik und Grafikdesign. 

Den ersten Preis in der Kategorie „Motorsport“ räumte ein Buch ab, über dessen Titel die Macher angeblich lange grübeln mussten. Darf man denn „Geile Zeit“ als Titel für ein Buch wählen? Preisverteiler Lewandowski war sich sicher: „Man darf! Jeder, der sich an die Deutsche Rennsport-Meisterschaft erinnert, wird so empfinden und seine Freude an dem Buch haben.“

In der Kategorie „Sonderpreis“ wurden Bücher ausgezeichnet, die sonst in keine Kategorie hineinpassen wollten, aber trotzdem eine Auszeichnung verdient hatten. So zeigt das Buch „Wem der Himmel offen steht“, warum Cabriofahren etwas besonderes bedeutet. Und Kai-Uwe Merz hat mit „Der AGA-Wagen – eine Geschichte aus Berlin“ ein Stück deutscher Automobilgeschichte vor dem Vergessen gerettet.

Abseits jeder Kategorisierung sind es vor allem diese letztgenannten Bücher, die als wahre Helden aus der Preisverleihung hervorgegangen sind. Bleibt zu hoffen, dass sich der Autobuch-Preis für die Zukunft einen Rahmen sucht, der über das Zusammentreffen von Jury und Preisträgern hinausgeht. Vor einer breiteren Öffentlichkeit wäre es schließlich wohl noch leichter, das Autobuch aus seiner Nische heraustreten zu lassen!
Weitere Informationen im ADAC Blog zu automobiler Literatur


Die Preisträger:


Marke:

1) The Porsche Book
Frank M. Orel

2) Jeep – Das Original – Seit 70 Jahren
Jürgen Zölter und Markus Bolsinger

3) Trabant – Legende auf Rädern
Frank Rönicke









Design:

1) Go Faster – The Graphic Design of Racing Cars
Sven Voelker
2) WAFT 2
Bart Lenaerts und Lies de Mol
http://www.waft.be
3) Lamborghini – Leidenschaft im Zeichen des Stiers
Decio Giulio Riccardo Carugati








Biographie:


1) Doppelsieg Paul Pietsch – Der Rennfahrer und Verleger
Mike Riedner
2) Rennsportlegende Gerhard Mitter
Siegfried C. Strasser
Schneider Media








Motorsport:

1) Einfach eine Geile Zeit – Deutsche Rennsport-Meisterschaft 1972-1985
Gustav Büsing & Uwe Mahla
2) The Golden Age of Formula 1
Rainer W. Schlegelmilch
3) Porsche 917 x 17
Jeffrey R. Zwart








Sonderpreis: 

1) Wem der Himmel offen steht
Franz Josef Kortüm (Hrsg.)

2) AUTO – Das große Sammelsurium
Thomas Pospiech
3) Der AGA-Wagen ñ Eine Automobil-Geschichte aus Berlin
Dr. Kai-Uwe Merz
4) Traumgaragen Deutschland 1.0 – gelebte Träume privater Sammler
Fritz Schmidt jr.
5) Volltanken, bitte! 100 Jahre Tankstelle
Christof Vieweg
6) Prinzenpark – Die ersten Auto- und Motorradrennen der Nachkriegszeit
Edmund Schimpf